by
Gustav_Wolfenfels
» 06 Sep 2017, 18:23
Still ist die Nacht. Aber ob sie auch verschwiegen ist?
Nein, sie plaudert alles aus, früher oder später bringt sie alles zu Tage.
Da war es einmal einem Wachtmeister auf dem Oberhof zu Ballenstedt ganz seltsam ergangen. Er hatte seinen Schimmel versorgt, ihn in den Stall gebracht und diesen verschlossen. Dann war er müde zu Bett gegangen. Plötzlich wachte er auf, mitten in der Nacht, vom Turm her schallten zwölf Schläge. Was nichts Besonderes war, aber er hörte auch Rasseln, Rufe, Türschlagen und Pferdegetrappel. Schnell sprang er auf, ans Fenster, um nachzusehen was da los war.
Was er sah, hätte er nicht geglaubt, wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Doch schon sein seliger Vater, der auch Ballenstedter war, hatte ihm von diesem seltsamen Ereignis folgendes erzählt: Es war einmal ein Edelmann, der liebte Pferde über alles. Er wollte nicht lernen und was er lernen musste, vergaß er schnell wieder. Er dachte nur an Pferde und ans Reiten.
Auch sein Vater war schon so ein verrückter Pferdenarr. Und als der gestorben war, hinterließ er seinem Sohn nur Schulden. Was sollte der arme Edelmann machen? Sollte er dienen, oder arbeiten? Aber er konnte ja nichts außer mit Pferden umgehen und ein Pferd besaß er nicht.
So entschloss er sich, ohne den rechten Glauben, ins Kloster zu gehen. Aber bei allem was er im Kloster tat, dachte er nur ans Reiten. Wenn das Messglöckchen läutete, wenn die anderen Mönche beteten oder Buße leisteten, immer ging ihm das Reiten durch den Kopf. Darüber wurde er alt und grau und sein letztes Stündlein kam. Der fromme Bruder, der ihm den letzten Liebesdienst erwies, hörte von den Lippen des sterbenden Mönches nur den Wunsch reiten zu können. Das war sein letzter Wunsch, der aber unerfüllt blieb!
Als man ihn zu Grabe trug, hörten die Mönche mit Entsetzen das Stampfen von Rosshufen und das fortwährende Wiehern eines Pferdes. Von da an war in den Klosterställen nichts mehr wie vorher. Nachts klapperten die Stalltüren und Pferdegeschirr rasselte. Und jeden Morgen aufs Neue waren alle Pferde in ihren Ställen von ihren Fesseln befreit.
Die Zeit verging, das Kloster wurde aufgegeben. Die Ställe beherbergten keine Pferde mehr, stattdessen wurden sie von Knechten und Handwerkern bewohnt. In jener Nacht, als der Wachtmeister aus dem Schlaf gerissen wurde, sah er an der Mauer entlang seinen Schimmel traben. Auf dessen Rücken saß ein großer Mönch, der sehr zornig dreinblickte. Dem Wachmann lief es eiskalt den Rücken runter und er sprang wieder in sein Bett und zog die Bettdecke über seinen Kopf. Als er am Morgen erwachte, lachte er über seinen bösen Traum.
Aber das Lachen verging ihm, als er ans Fenster trat und seinen Schimmel auf dem Hofe stehen sah. Die Stalltür stand weit offen! Als es wieder Abend wurde verrammelte der Wachtmeister die Stalltüren und verdoppelte die Ketten. Aber das half wenig, früh stand der Schimmel wieder auf dem Hof und die Stalltür stand offen. Da brachte er sein Pferd in einen weit abgelegenen Stall. Aber in der Nacht polterte, trappelte und rasselte es nur umso schlimmer, so dass alle auf dem Hof erwachten und ihnen Angst und Bange wurde. Da reichte es dem Wachtmeister, er nahm seinen Schimmel, quittierte den Dienst und zog fort. Sollte doch der Mönch reiten worauf er wolle, nur nicht auf seinem Schimmel.
Viel Zeit ist vergangen, der Oberhof ist lange weggerissen, eine Villa steht an seiner Stelle. Und wo der Pferdestall stand, ist nur noch Garten. Aber der Mönch erscheint noch immer und sucht nach Pferden zum Ausreiten. Wohnen möchte man dort wohl nicht!